Vererben in Deutschland, ein Rückblick über 50 Jahre

Die Veränderungen in der Gesellschaft und im Leben des Einzelnen führen zusätzlich zu den Rechtsänderungen zu einer anderweitigen Umsetzung des deutschen Erbrechts.

Es sind überwiegend Änderungen aufgetreten in folgenden Bereichen:

  • längere Lebenserwartung
  • Patchwork-Familien
  • internationale Ehen
  • internationales Vermögen
  • verschiedenste Produkte der Vermögensanlage
  • größere Entfernung von Kindern und Eltern
  • Altersdemenz in den unterschiedlichsten Auswirkungen
  • zahlreiche Schenkungen von Eltern an Kinder
  • häufige Pflichtteilsgeltendmachung
  • längere Pflegebedürftigkeit.

Veränderungen des Familienverbandes

Die Zusammensetzung der Familien hat ebenfalls massive erbrechtliche Auswirkungen.

Die Tendenz geht weg von der Familie, die über einen sehr langen Zeitraum existiert und bei der mehrere Abkömmlinge vorhanden sind, zur Familie mit zwei bzw. einem Abkömmling und führt weiter zur Patchwork-Familie. Es müssen deutlich andere Testamente gefertigt werden.

Zusätzlich wird die Frage der erbrechtlichen Konsequenzen der Fortpflanzungsmedizin zu diskutieren sein aufgrund künstlich geschaffener Elternschaft.

Durch internationale Eheschließungen kommen unterschiedliche Rechte zur Anwendung, dies ist jeweils zu hinterfragen.

Die weiter anhaltende Auswanderung deutscher Staatsangehöriger hat erhebliche Auswirkungen auf deren erbrechtliche Situation. So kann z. B. der Umzug eines Deutschen in die Schweiz dazu führen, dass auf seinen Nachlass Schweizer Recht zur Anwendung kommen kann, soweit sich dieser in der Schweiz befindet und deutsches Erbrecht, soweit sich der Nachlass in Deutschland befindet.

Testierfähigkeit

In den letzten Jahren muss immer häufiger die Frage der Testierfähigkeit diskutiert werden aufgrund der deutlich erhöhten Lebenserwartung, die sich in den letzten 50 Jahren nahezu um 15 Jahre verlängert hat.

Die Zahl der wegen Testierunfähigkeit unwirksamen Testamente ist in den letzten Jahren in erheblichem Umfang angestiegen. Hintergrund ist der, dass die Lebenserwartung deutlich gestiegen ist und damit zwangsläufig auch einhergeht der erhöhte Prozentsatz von Personen, die an Demenz erkrankt sind. Der Anteil der Personen über 60 Jahre nimmt an der Bevölkerung dramatisch zu. Dieser Personenkreis fühlt sich noch zu jung für die Testamentsgestaltung, so dass oftmals erst 70-jährige beginnen, Testamente zu errichten. Hier ist der Anteil der Demenzerkrankten bereits ca. 10 bis 15% mit einer deutlichen steigenden Tendenz. Auch hier sind regionale Unterschiede feststellbar. So ist die Wahrscheinlichkeit an Demenz früh zu erkranken in den neuen Bundesländern deutlich höher als z. B. in Hamburg, Baden-Württemberg oder Bayern.

Unwirksame Testamente

Die Tendenz zum Steuersparen hat in den letzten Jahren in erheblichem Umfang zugenommen und führt allerdings bedauerlicherweise zu vollkommen unsinnigen Ergebnissen.

Aufgrund der massiv erhöhten Freibeträge ist es in den letzten Jahren dazu gekommen, dass nur noch in etwa 8% der Erbfälle überhaupt es zur Erhebung von Erbschaftsteuer kommt. Dafür wird allerdings immer mehr Vermögen vernichtet durch die Annahme, dass mittels Internetpublikationen die Testierenden selbst in der Lage wären, Testamente zu errichten. Bei der Vermögensgruppe Nachlasshöhe zwischen 50 bis 160.000 € werden im Durchschnitt 11% des Nachlassvermögens durch gerichtliche Auseinandersetzungen aufgrund unklarer Testamentsformulierungen verbraucht. Die Tendenz ist steigend. Die Anzahl der von Laien ohne juristische Beratung gefertigten Testamente nehmen zu. Die Streitbereitschaft wächst. Aufgrund dieser beiden Komponenten unjuristisch formulierte letztwillige Verfügungen in Verbindung mit einer erhöhten Streitbereitschaft führen zu einem massiven Anstieg von Erbauseinandersetzungen.

Gerade die Zahl absoluter formunwirksamer Testamente nimmt zu, da in vorgefertigte Formulare nur noch Namen, Prozentsätze ausgefüllt werden und dies dann unterschrieben wird.

Alterstestamentvollstreckung

Einhergehend mit dem ansteigenden Alter nimmt auch die Anzahl der wirtschaftlich falschen Transaktionen zu. Aus diesem Grund werden Testamentsmodelle erforderlich wie die Anordnung von altersbedingter Testamentsvollstreckung, d. h. dass der überlebende Ehepartner bei Eintritt der Demenz unter Testamentsvollstreckung gestellt wird.

Jugendtestamentsvollstreckung

Die Zahl der verschuldeten Jugendlichen/jungen Erwachsenen nimmt ständig zu. Eine Sparfähigkeit bzw. ein Sparbewusstsein ist oftmals nicht mehr vorhanden.

Durch geeignete Maßnahme (Testamentsvollstreckung) muss dieser Personenkreis vor unsinnigen Vermögensausgaben geschützt werden.

Weiter nimmt die Zahl der Jugendlichen zu, die nie in das Berufsleben finden, auch hier muss wie oben verfahren werden.

Pflichtteilsrecht I

Es ist festzuhalten, dass zum Zeitpunkt der Erstellung des Bürgerlichen Gesetzbuches die männlichen Bewohner des Deutschen Reiches relativ früh verstorben sind.

Zum Zeitpunkt des Versterbens der damals oftmals alleinverdienenden Männer waren dann die Kinder noch in einer Lebensphase ohne beendete Berufsausbildung. Aus diesem Aspekt heraus war an sich das Pflichtteilsrecht als Unterhaltsrecht konzipiert.

Zwischenzeitlich sind die durchschnittlichen Pflichtteilsberechtigten in einem Alter zwischen 40 und 50 Jahre. Gerade diese Bevölkerungsschicht steht in einer schwierigen finanziellen Situation. Ein Großteil dieser Personengruppe ist Immobilieneigentümer. Diese Immobilien wurden gekauft vor ca. 10 bis 15 Jahren vor dem Erbfall der Eltern. Es läuft dann oftmals der Zinsabänderungszeitraum des Darlehens aus. Es sind noch Verbindlichkeiten vorhanden. Um diese Verbindlichkeiten abzulösen, macht dieser Personenkreis oftmals den Pflichtteil geltend, die Quote der Pflichtteilsgeltendmachung nach dem Ableben des ersten Ehepartners ist in den letzten 30 Jahren kontinuierlich von ca. 10% auf jetzt nahezu 80% angestiegen.

Hintergrund ist nicht nur die finanzielle Situation des Pflichtteilsberechtigten beim Ableben des ersten Elternteils sondern auch die Überlegung, dass der überlebende Elternteil das gesamte Vermögen bedingt durch Pflege u. a. verbrauchten könnte.

Pflichtteilsrecht II

Es ist hier zu beachten, dass das Pflichtteilsrecht gerade bei der städtischen Bevölkerung im Gegensatz zu ländlichen Bevölkerung bei lebzeitigen Vermögenstransfers immer mehr vernachlässigt wird. Bei der ländlichen Bevölkerung war in den 50-er und 60-er Jahren gang und gäbe, dass bei Schenkungen entweder ein Pflichtteilsverzicht oder eine Pflichtteilsanrechnung erfolgte. Die stand im Zusammenhang mit familieninternen Diskussionen. Aufgrund der immer mehr mangelnden familieninternen Kommunikation und der auf Konfliktvermeidung ausgerichteten Gesellschaft erfolgen immer mehr Schenkungen von Eltern an Kindern, ohne dass hier Pflichtteilsanrechnungen bzw. Pflichtteilsverzichte vereinbart werden, da dies zu nicht gewünschten Emotionen kommen kann. Es erfolgen zudem wesentlich mehr Schenkungen an Abkömmlinge als ehemals.

Vermächtnisse für soziale Zwecke

Gerade bei wohlhabenden älteren Testierenden nimmt die Zahl der Vermächtnisse für gemeinnützige Zwecke in erheblichem Umfang zu. Hier wird immer öfter die Auffassung vertreten, dass die Kinder bereits ausreichend durch zur Verfügungstellung von hochwertigen Ausbildungen bedacht worden sind, und man etwas der Gesellschaft wieder zurückgeben möchte.

Weiterhin ist festzuhalten, dass die Vermächtnisse zu Gunsten der Kirchen in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen sind und hier umso mehr Vermächtnisse für gemeinnützige Organisationen, die durchaus der Kirche nahe stehen, ausgesetzt werden.

Weiterhin ist festzustellen, dass das Aussetzen von Vermächtnissen zu Gunsten gemeinnütziger Organisationen aber bei sehr wohlhabenden Personen rückläufig ist, da hier mehr die Tendenz zur Errichtung von Stiftungen festzustellen ist.

Haustiervermächtnis

Aufgrund der massiv zunehmenden Singlesituation ist festzuhalten, dass die Zuwendung zu Haustieren in der deutschen Bevölkerung ungebrochen ist. Dies führt zu erbrechtlichen Konsequenzen, dass immer mehr Testamente entwickelt werden unter dem Aspekt der Vorsorge für das Haustier. Dies machen sich zahlreiche Organisationen zunutzte. Die Zuwendungen an Tierheime und Tierschutzvereine im Rahmen von Testamenten ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Ob aber jemals diese Zuwendungen dem angedachten Zweck tatsächlich zugeflossen sind, muss ernsthaft in Frage gestellt werden. Die Fälle unseriöser diesbezüglicher gemeinnütziger Situationen haben zugenommen.

Auflagen für Bestattung, Grabpflege

Rückläufig ist die Tendenz zur Aussetzung von Auflagen, wie das Lesen von heiligen Messen u. a., gleiches gilt für die Grabpflege. Hier ist festzuhalten, dass die Zahl der anonymen Bestattungen sehr stark zugenommen hat, sowie der Wunsch, feuerbestattet zu werden, so dass eine Urnenbestattung möglich ist. Die Urnenbestattung findet nunmehr immer häufiger in Urnengräbern im italienischen Stil statt. Durch den Abschluss von Grabpflegeverträgen werden testamentarische Anordnungen überflüssig.

„Vererben von Handwerksbetrieben“

Die Übergabe von Handwerksbetrieben auf die nächste Generation im Rahmen von letztwilligen Verfügungen ist in den letzten Jahrzehnten ganz erheblich zurückgegangen, da die nachfolgenden Generationen oftmals nicht mehr bereit sind, die Arbeitsbelastung der Eltern, die betrieblich bedingt war, auf sich zu nehmen. In früheren Jahren war es nahezu selbstverständlich, dass die Betriebsweitergabe an Kinder über Vermächtnisse in letztwilligen Verfügungen gang und gäbe war.

Das gesamte Kleinunternehmertestament bzw. Handwerkertestament ist daher rückläufig.

Immobilien und Nachlass

Für Eltern stellt sich immer häufiger die Frage, wie nunmehr aufgrund der veränderten Vermögenssituation auch der Kinder die erbrechtliche Gestaltung sein soll. Zentraler und meist sehr emotionaler Vermögensgegenstand ist die selbstgenutzte Immobilie. Hier ist allerdings festzuhalten, dass aufgrund des späten Versterbens dann oftmals die Kinder bereits selbst Eigentümer von Immobilien sind und somit kein Interesse an der Immobilie der Eltern für Wohnzwecke haben. Es kommt dann dazu, dass Immobilien innerhalb von 2 bis 3 Jahren nach dem Ableben des letztversterbenden Elternteils zu 80% veräußert werden. Die Immobilienwerte in ländlichen und kleinstädtischen Gebieten fallen derzeit in erheblichen Umfang, auch auf Grund des erheblichen Sanierungsaufwandes für Energieeinsparungsmaß-nahmen. Für die Erben ist nicht mehr die Immobilie sondern nur noch deren Erlös interessant. Die familieninterne Generationennachfolge bei Immobilien ist daher unterbrochen.

Vor dieser Kenntnis mehren sich die Testamentsgestaltungen in denen vorgesehen wird, dass die Immobilie von einem Testamentsvollstrecker zu verkaufen ist.

Verringerung des Nachlassvermögens

Durch die längere Lebensdauer ist weiterhin festzustellen, dass tendenziell deutlich später geerbt wird und zwischen Renteneintrittsalter und Ableben die Zeitspanne deutlich länger wird. Das Rentenniveau ist zudem in den letzten Jahrzehnten entgegen der Ankündigung aus der Politik immer mehr gesunken, so dass Senioren – nach Eintritt in das Rentenalter – von der Substanz leben müssen. Durch den Verbrauch der Substanz verringert sich immer mehr das Nachlassvermögen. Die Mär von der Erbrechtswelle ist nur insoweit „richtig“, als diese abebbt.

Die Bevölkerung in Deutschland ist in den letzten Jahren insgesamt reicher geworden, wobei zwischen den Bundesländern massive Unterschiede bestehen, was auch zu ganz unterschiedlichen, erbrechtlichen Konsequenzen führt. Gerade in den neuen Bundesländern nimmt die Zahl derjenigen Personen zu, die ohne Hinterlassung von Vermögen versterben.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Vermögenslossterbenden von 3% auf ca. 10% angestiegen, wobei es bei einzelnen Bundesländern dazu kommen kann, dass diese Zahl auf bis zu 20% ansteigt. Hier ist festzuhalten, dass bei diesem Personenkreis eine Bereitschaft zur Erstellung von Testamenten zwangsläufig nicht vorhanden ist.

Verarmung durch Schenkung

Bei diesem Personenkreis besteht immer mehr die Tendenz, zu Lebzeiten das noch vorhandene Vermögen auf die Kinder zu übertragen, so dass für den Fall der Heimunterbringung mit der entsprechenden sozialhilferechtlichen Konsequenz nicht das Vermögen verbraucht wird, sondern man der Auffassung ist, dass dann der Staat dafür aufzukommen habe, wobei in den allermeisten Fällen übersehen wird, dass diese Schenkungen wegen Verarmung des Schenkers rückforderbar sind.

Zusätzlich ist festzuhalten, dass die Verarmung der älteren Generationen auch zu einer Verarmung der Abkömmlinge führen kann, da diese von der Sozialhilfeverwaltung in Regress genommen werden.

Die gesamte erbrechtliche Situation in Deutschland ist eher komplexer geworden.