Testierunfähigkeit und Medikamente

Vermutungen, wonach der Erblasser wegen der Einnahme von Medikamenten (Diazepam, Valoron, Tavor u. a.) nicht testiefähig sei, reichen nicht aus, um das Nachlassgericht im Rahmen der Amtsermittlungspflicht zu einem Gutachten zur Testierunfähigkeit zu „zwingen“.

Ein gerichtliches Gutachten zur Frage der Testierunfähigkeit ist nur dann vom Nachlassgericht einzuholen, wenn objektivierbare Tatsachen vorliegen, die den Schluss auf eine Testierunfähigkeit zulassen können.

Das Gericht wird oftmals die Einleitung eines förmlichen Erbscheinsverfahrens als Voraussetzung fordern.

Dies soll an folgendem Fall dargestellt werden:

Der unverheiratete Erblasser starb kinderlos in Augsburg. Er rief vor seinem Ableben einen Notar ans Krankenbett, setzte die Nichte N seiner geschiedenen Ehefrau durch notarielles Testament zur Alleinerbin ein. Der Notar nahm im Urkundeneingang auf, dass er sich von der Geschäftsfähigkeit des Erblassers überzeugt hatte; der Testierende sei zwar durch die Krankheit (Krebserkrankung) geschwächt, aber fähig, die Bedeutung seiner getroffenen Regelungen zu erkennen und einsichtsgemäß seine Entschlüsse zu fassen und zu äußern, weshalb er voll geschäfts- und testierfähig war.

Die Erbin, die Nichte N, beantragte nach dem Ableben des Erblassers einen Erbschein, der sie als Alleinerbin auswies. Ein Cousin des Verstorbenen trat diesem Erbscheinsantrag entgegen und behauptete, dass der Erblasser wegen seiner Krebserkrankung und der hieraus resultierenden medikamentösen Behandlung (Schmerzmittel) psychisch und emotional negativ entwickelt war. Er sei Fehleinschätzungen unterlegen (wenn der Erblaser sich geirrt hätte, hätte die Beschwerdeführerin nicht die Testierunfähigkeit einwenden sollen, sondern das Testament anfechten müssen), weshalb er geistig nicht mehr in der Lage war, sein Tun einzusehen und danach zu handeln. Die Medikamente hätten seine emotionale und kognitive Labilität verstärkt, sodass ein eigener Wille durch Einflüsse völlig überlagert worden sei.

Das Nachlassgericht wollte den Alleinerbschein erlassen. Eine dagegen eingelegte Beschwerde durfte analog eine Entscheidung des OLG Düsseldorf mit folgender Begründung zurückgewiesen werden:

Testierunfähigkeit nach § 2229 Abs. 4 BGB liegt nicht vor, da der Erblasser an keiner dort genannten Erkrankung litt. Konkretes Verhalten, das auf eine Testierunfähigkeit schließen lässt, war nicht erkennbar. Bleiben Zweifel an der Testierfähigkeit, ist hierüber ein Gutachten einzuholen. Dazu bedarf es allerdings bestimmter Anknüpfungstatsachen mit anschließender Feststellung der Auswirkungen auf die Einsichts- und Willensbildungsfähigkeit des Erblassers. Vorliegend fehlen jegliche Anhaltspunkte für auffällige Verhaltensweisen des Erblassers. Weder der behandelnde (Haus-)Arzt noch Dritte bestätigten, dass der Erblasser medikamentbedingt nicht mehr nach seiner Einsichtsfähigkeit hätte handeln können. Das deckt sich mit den Feststellungen der notariellen Urkunde, wobei diese Feststellungen oftmals nur pauschal formuliert werden. Bloße Vermutungen über etwaige Krankheitsbilder wegen Medikamenteneinnahme taugen nicht als Anknüpfungspunktstatsachen, um die Testierunfähigkeit zu begründen.

Der oftmals vorgebrachte „Standardeinwand“, dass Medikamenteneinnahme zur Testierunfähigkeit führt und deshalb das Testament nichtig sei, ist nur dann vom Gericht durch ein Gutachten aufzuklären, wenn der Erblasser verhaltensauffällig war (z. B. Wahnvorstellungen; örtlich und zeitlich orientiert war usw.). Es muss hier ein substantiierter Sachvortrag erfolgen, aus welchem eine zeitliche, örtliche und persönliche Desorientierung entnommen werden kann. Gerade der Verlust des Kurzzeitgedächtnisses kann ein Zeichen von Testierunfähigkeit sein. Allein eine Verlangsamung des Denkablaufes auf Grund von Medikamenten führt nicht zur Testierunfähigkeit. Auch starke Schmerzmittel beeinflussen nicht notwendigerweise die Testierfähigkeit. Schlafmittel sind nicht unbedingt eine Ursache für Testierunfähigkeit. Bloße Behauptungen der Medikation genügt somit nicht, um so das Testament anzugreifen.